Tor zum Münsterland, Brücke ins Ruhrgebiet

Kranenmeer

Entstehung des Kranenmeeres in Heiden

Es war um das Jahr 950, kurz nach der Zeit, da St. Ludger und die beiden Ewaldi das Heidenvolk des Münsterlandes un des ,,Bramgaues`` dem Christenglauben zuführten.   Die Frühlingsnacht nahte ihrem Ende, und der liebliche Pfingstmorgen stieg rot auf aus Osten.   Eine verspätete Eule schrie ihren letzten heiseren Ruf gegen den nahenden Morgen, und Hasen und Kaninchen erhoben sich verschlafen von ihrem Lager.  Zum drittenmal krähte der stämmige Hahn auf dem ,,Hahnholt`` des Kranenhofes.      Da erhob sich die Kranenhofbäuerin von ihrem Strohlager und schickte sich an, ihre Mägde zu wecken.   Die Morgenarbeit musste getan werden, bevor sie den Kirchgaang antraten.   Das rotbunte Rindvieh stand bölkend in den Ställen zu beiden Seiten der Tenne in langen Reihen, von den fleissigen Mägden der Reihen nach gemolken und gefüttert.  Währendessen versorgte die Kranenhofbäuerin im anliegenden ,, Spieker`` die grunzenden und quiekenden Schweine, und der inzwischen geweckte Fuhrknecht brachte seinen Gäulen Hafer und Häcksel nach beendeter Morgenarbeit rüsteten sich alle zum Kirchgang.

Die Kranenhofbäuerin betrat noch einmal die Schlafkammer ihres Ehegespons, um den Bauer zu wecken.    Der legte sich verschlafen noch einmal auf die andere Seite und murmelt durch den struppigen Vollbart:

,,Lot mi liggen, ick kann van Dage nich no de Karke, ick föhl mi nich god``.

  Die Kranenhofbäuerin, wohl wissend, dass die Antwort ihres Mannes nur eine leere Ausrede sei, drang inniger in ihn, doch ja nicht, wie an anderen Sonntagen, statt dem Gottesdienstes beizuwohnen, auch heute, am hl. Pfingstmorgen, der Jagdlust zu fröhnen.    Doch der Bauer blieb bei seiner Antwort, und schliesslich vertrieb er in barscher Rede seine Frau aus der Kammer.    Seufzend verliess sie den Hof, um im besten Sonntagsstaate dem Gesinde zur Kirche zu folgen.      Es war hohe Zeit, denn über eine Stunde weit war der Weg, und schon erklangen die ersten lieblichen Klänge der Kirchenglocken von Heiden  durch den herrlichen Pfingstmorgen zum Kranenhofe herüber.    Die Kronenhofbäuerin hatte kaum als letzte den Hof verlassen, da erhob er sich gähnend und reckend, der wild und robust aussehende Bauer.  Er streckte verschlafen seine Arme gegen die Balken seiner Schlafkammer und fuhr in die Wildlederhose und in den Bärenernen Wams.    Auf sein struppiges Haar stülpte er den mit Birkhahnfedern gezierten Jägerhut und über die Schultern hing er den Bogen mit Köcher und Pfeil.   Das Hirschmesser im Gürtel, verliess er eilig das Haus, wie wenn der Teufel hinter ihm her sei.   Draussen im Schott harrte ungeduldig ,,Wodan`` der grosse Hofhund.

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   Der Kranenhofbauer löste ihn von seiner Kette, und wildfreudig sprang er an seinen Herrn hinauf, um dann den gewohnten Weg zum nahen ,,Elwen`` den Jagdgründen des Kranenhofbauers einzuschlagen.   Dem scheint heute doch nicht alles nach der Mütze zu sein, denn von Zeit zu Zeit scheint er seinem stämmigen Körper einen Ruck zu versetzten, um seine trüben Gedanken zu verscheuchen.    Dazwischen ertönen noch immer die leisen, doch für das scharfe Ohr des Kranenhofbauern noch vernehmbaren Klänge des Gotteshauses von Heiden.     Sie scheinen ihm eine höhnende Melodie geben zu wollen zu seinem frevelhaften Treiben am hl. Pfingstmorgen.       Allmählich schon fängt die Sonne zu brennen an, und unter seinem dicken Haar quillt der Schweiss.

 Sein ,, Wodan`` ist weit vorausgeeilt und verscheucht durch sein Bellen das im Dickicht versteckte Wild.   Wütend pfeift und gröhlt der Bauer nach ihm, doch der Hund hört es nicht mehr.  Das macht den wilden Jäger noch wilder.    Ihm kommt heute alles in die Quere, die Kirche. seine Frau, die Hitze und jetzt selbst das unvernünftige Hundevieh.  Höhnend lacht der wilde Mann auf, um im nächsten Moment in tiefes Grübeln zu versinken.   Mittlerweile ist er an der Grenze seiner Jagd, dem ,, Kaltenbach`´. Keine Feder und keinen Schwanz hat er zu sehen gekriegt.  Ermüdet sinkt er unter den alten dickwurzeligen Weiden am Ufer des Baches hin, um aus seiner Flasche einen kühlen Trunk zu nehmen, aber selbst der Met ist auf dem Wege warm geworden.  Nun möchte er im Schatten der Bäume ein wenig schlafen, aber es gelingt ihm nicht.  Ihn quälten ganz unheimliche Gedanken, und sie vergehen auch dann nicht, wenn er mit dem Kolben seines Bogens wütend den weichen Moosteppich verprügelt und dabei jedesmal einen greulichen Fluch durch seinen rauhen Bart schickt.  Während des wilden Gebahrens hat der Kranenhofbauer es gar nicht bemerkt, das über ihm drohend sich schwarze Gewitterwolken zusammenballten, und das in der Ferne schon die Blitze zuckten und der Donner rollt.   Als die ersten dicken Tropfen durch das Laubdach ihn treffen, wird er aus den Grübeln aufgeschreckt.   Eilends muss er fliehen, denn der Wind hat plötzlich Macht bekommen und treibt Wolken und Regen im Sturm vor sich her.   Schwefelgelb wird die Luft, und in Kreiseln wirbelt eine Windhose mit Hagel gemischt daher.   In rasender Flucht hat der Kranenhofbauer seinen Hof erreicht, als die ersten Hagelkörner prasselnd an die Fensterladen schlagen.  Immer stärker wird der Regen immer härter de Hagelschlag und rasender Sturm.  Es ist, als ginge die Welt aus ihren Angeln, als wären die Vorboten des Weltenendes entfesselt.    Aufstöhnend wirft sich der Bauer auf einen Holzschemel am schweren Eichentisch.  Eine furchtbare Angst überfällt ihn, da er sich Mutterseelenallein auf seinem einsam gelegen Hofe sieht.   In blinder Wut versuchte er seiner angstgequälten Seele durch gottlose Flüche Luft zu machen, und drohend bald er seine Faust gegen das herrschende Unwetter draussen.  Unaufhörlich zucken die Blitze und der Donner rollt.

Da plötzlich ein Flammenmeer um ihn, ein Schlag, ein Knall, die Erde berstet der Schlund tut sich auf, und mit einem furchtbaren Todesschrei fährt der Bauer mit seinen ganzen Hofe, Gebäuden und Vieh hinab in den Abgrund.

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Allmählich mildert sich das Wetter, und Sturm und Regen haben aufgehört Lieblich lacht der Himmel wie zuvor.   Das Hochamt in der Kirche zu Heiden ist beendet und die Kranenhofbäuerin mit ihrem Gesinde tritt den Heimweg an.  Da sie das Gehöft erreichen, stehen sie starr vor Staunen und Schreck.  An der Stelle, wo noch vor einigen Stunden der stolze Kranenhof stand, liegt ein Wassertümpel, die fruchtbaren Aecker sind vernichtet, und statt dessen erheben sich trockene und unfruchtbare Sandbülten und Dünen.   Die Kranenhofbäuerin ruft nach ihrem Mann, aber keine Spur ist von ihm zu finden.  Traurig zieht sie mit ihrem Gesinde von dannen, um anderswo Brot und Unterkunft zu suchen.

  Der Volksmund aber nannte den Teich nach dem Kranenhofe das Kranenmeer, und noch heute kann mann am stürmischen Abenden das Stöhnen und Schreien des Kranenhofbauern vernehmen, der auf solche grausige Weise für seine Gotteslästerung und Sonntagsentheiligung büssen musste.

Diese Geschichte oder Sage ist aus dem Buch

Dat  Darp an de ,, Düwelsteene``

von U. Wischerhoff