Spanischer Winter 1598/99
Nach den Vorstellungen der Christen im frühen Mittelalter hatte die Kirche die Bedeutung des Himmels. Sie war die Burg Gottes, ort der Geborgenheit und Sicherheit. Diese Vorstellung fand ihren Niederschlag vielfach auch in der Bauform.
Meist machte der Turm einen wehrhaften Eindruck, die eicherne Tür mit den schmiedeeisernen Beschlägen sollte diesen Eindruck nach außen vermitteln. Da s hatte auch einen praktischen Sinn.
So dachten auch wohl die Rhader Bauern, als sie 1560 an ihre kleine Kapelle einen wuchtigen Turm anbauten. Die Grundfläche des Turmes bildet ein Quadrat von 18 Fuß Seitenlänge. Bis zum Helm war der Turm 40 Fuß hoch und die Spitze hatte eine Höhe von 36 Fuß. Die Mauerstärke im Unterteil des Turmes beträgt 6 Fuß (1,7m) und war für die damaligen Verhältnisse ein festes Bollwerk. Es war eine friedliche Zeit als der Turm gebaut wurde, ein gewisser Wohlstand suchte sich für Notfalle zu sichern.
Diese ruhige Zeit ging bald vorbei. 1568 begann der spanisch -niederländische Krieg und fast ununterbrochen hatte das Land bis 1648 unter Kriegswirren zu leiden. Als der Erzbischof Herzog Ernst von Bayern, im Kampf gegen seinen abgefallenen und vom Papst exkommuniziert und seiner Ämter enthobene Kurfürst Gebhard Truchseß von Waldburg, mobil machte, begann der Königliche Krieg.
Herzog Ernst verbündete sich mit den Spaniern und das verhalf ihn zum Sieg. Der Krieg dauerte bis 1598. Da die Niederlande sowohl die eigenen wie auch die spanischen Söldner unterhalten mußte, gab das Land von Jahr zu Jahr weniger Her. Der Einsatz für Gebhard von Waldburg oder für Ernst von Bayern im Kölner Krieg hatte den Blick der Militärs auf das weitgehend unversehrte Nachbarland im Osten gelenkt. Erst waren die Grenzgebiete betroffen.
Schon 1580 wurde Ahaus geplündert, 1583 wurde erste Überfalle auf Bocholt und Ahaus gemeldet. 1587 spanische Völker in der Grafschaft Mark, im Vest Recklinghausen und im Oberstift Münster.
Im Jahr 1598 erlitt die Herrlichkeit Lembeck einen besonders großen Schaden. Die
Bevölkerung hatte sich kaum von vorhergehenden Schäden erholt und wieder Vieh
angeschafft , als die not ins Land zog.
Die Leidenszeit erreichte seinen Höhepunkt, als am 5 September 1598 das spanische Kreigsvolk mit 24000 Mann über den Rhein gezogen kam. Zehn Tage später drang ein Trupp von 40 Reiter über die Lippe ins Land vor, plünderte, raubte und ermordete dabei 2 Einwohner der Herrlichkeit. Die Rhader Bevölkerung erlitt einen Schaden von 281 Reichs Thaler.- Am 20 September überfielen 100 Reiter die Herrlichkeit Lembeck, brachten 9 Personen um und plünderten die Kirchspiele Rhade und Erle aus.
Als dann die Horden ihr Lager nach Deuten verlegten, brandschatzte ein Offizier namens Contreas mit einer großen Anzahl Reiter und tausend Pferde durch die Bauernschaften hindurch nach Raesfeld. Unter ihnen befand sich ein Capitain Schaba. Dieser stürmte die Kirche zu Rhade, zog dann bis vor Haltern und hauste in unmenschlicher Weise und hinterließ eine Spur von Blut und Tränen.
Ausführlichen Nachrichten über das unmenschlichen Verhalten dieser spanischen Soldateska in der Herrlichkeit Lembeck enthalten zwei Schadenverzeichnisse, die sich im Archiv des Schlosses Lembeck befinden ( L210 ). Der damalige Herr zu Lembeck, Mathias vn Westerholt, ließ diese Berichte 1599 anfertigen. Das erste Aktenstück heißt: "Schaden und Devastation der Herschaft Lembeck so durch die hispanischen einlagerung des Stiffts Münster geschehen sub dato 2. Aprilis Ao.99"
Diese Niederschrift wurde dem damaligen Landesherrn, Fürstbischof Herzog Ernst von Bayern am 11 Mai 1599 durch Johann von Westerholt (Bruder des Mathias v. W.)
überreicht. Darin heiße es wörtlich, es wurde, "....alles gebrandschatzt und rauznirt (durch Lösegeld erpresst) und sein die Leuthe umb Geld zu preßen in derselben Kerken ( St. Urbanus) jamerlich gemartert, Weiber geschändet, und gebraden, davon noch einer Johan Hinsken genandt vorhanden, der davon sein Leben langh ein Kropel sein moß. Und ist also allein dat mal dat gantze Gerichte davastirt (verwüstet), sundern haben die Leuthe in großem Unwedder mit ihren Weib, Kinderen, Viehe und was sie sunsten zu salveren (retten) gemeindt an Heggen (Hecken) und Tunnen (Zäunen) gelegen, und darann viell Elendtz zu ersehen gewesen, viell Leuthe und Viehe gestorven und verdarben, auch dermaßen verkeltet, waß dar nit desmal gestorben ist, solchs stirbt inzund hinwech".
Vierzehn Tage lang mußten die Menschen im Unwetter ausharren und all dieses Leid durchstehen. Diesen allgemeinen Bericht an die Churfürstliche Regierung fügte der Herr zu Lembeck noch ein von dem Richter der Herrlichkeit Lembeck dem Bacalaureus Steffen von Westerholt gefertigtes und bestätigtes Einzelverzeichnis bei. Dieses zweite Aktenstück trägt den Titel: " Urkündliche Beschönungh alles desjhennen der Hoch und Herlichkeit Lembecke liggenden Dofferen sambt derenselben Kerkspelen und Eingesesennen durch das Hispanische Krige Volk deren Leuthen zu gefogten Schadens und Unheil".
In dieser Schadensliste reiht sich eine Greultat an die andere. Gewaltsam nahmen die Söldner den Leuten nicht nur das Vieh ab, sonder auch Heu, Stroh und Korn. Zäune, Hecken, Türen, Hausrat, Arbeitsgeräte, Schoppen und Balken verbrannte sie rücksichtslos.
Das Fleisch nahmen sie aus dem Rauch, Truhen und Kisten schlugen sie auf und raubten sie aus. Immer noch nicht zufrieden schädigten sie Bewohner an
Gesundheit und Leben.
Einige Beispiele der Grausamkeiten.
Heinrich Köster gefangen genommen und auf tückischer Weise verwundet 7 Taler
Lösegeld gezahlt und wider gefangen genommen.-
Hermann Horstik alle Kleider ausgezogen jämmerlich zusammen geschlagen, für seine Kleider 4 Taler Lösegeld und die Kleider wieder abgenommen.-
Gerd Coer seinen Vater gefangen gehabt jämmerlich verwundet seine Beine verbrannt dafür dem Barbier 2 Taler gegeben.-
Gerwin Niermann beide Arme zerschlagen.-
Unter den Plünderungen und Brandschatzungen des Jahres 1598 hatten im Kirchspiel
Rhade: "Heinrich Rost, Berndt Werning, Johann Hülsken, Jost Tüshaus, Heinrich Leynk, Johann Linneweber, Johann Merten, Heinrich Koster, Heinrich Schepers, Claus Cordes, Schulte zu Rhäe, Berndt Vorke , Buschmann, Heinrich Heßling, Johann Wallenkampff, Hermann Bramers, Johann Freyrich , Heinrich Schlüters , Johann Kueper, Michael Holtkamp, Hermann Horstich, Nattefortt, Berndt Schroeer, Johann Kerkmans, Hermann Westhoff Johann de Lütke, Albert Denneken, Albert Molners, Gerwin Niermann, Gerdt Breßer, Arndt in dem Holte, Mecking, Koyen, Gerd Heilken und der Ölschläger (Müller)
Schaden 2211 Reichs Thaler.
Am 14 April des Jahres 1609 schlossen Spanier und Niederländer dann endlich zu
Antwerpen einen 12 jährigen Waffenstillstand. Die Raubzüge der Söldlinge fanden
vorläufig ein Ende. Nun erst konnten die Bewohner unserer Heimat ihrer gewohnten
Arbeit nachgehen. Wie arm waren sie auch geworden, Hab und Gut hatten sie verloren, die Horden hatten Fieber und Seuchen eingeschleppt und häufige Todesfälle brachten unendliches Leid. Es war nicht leicht Liebe und lust zu Arbeit und Erwerb zu finden.
Schon drohte am Horizont unseres Vaterlandes die Sorge und Leid verheißenden
Wolken eines den Tod und neues Elend bringenden Krieges, der erst im Jahre 1648
durch den Westfälischen Frieden zu Münster und Osnabrück sein Ende fand.
Quelle: Nach Originalberichten des 16. Jahrhundert zusammengestellt von Wilhelm Schwiderek Rhade.